Nicht ist mehr sicher – ein Rundumschlag
Liebe Leute,
nicht jeder muss zu allem etwas sagen, aber eine Haltung sei erlaubt, bitteschön.
Hier ein kraftvolles Essay in einer Zeiten, da das Schiff aus dem Leim zu geht droht.
Trau dir selber, dem, was du siehst und nimm es wie die Stoiker, das hilft. Und erlaube dir auch mal wieder “Blödsinn”, “Bulshit” und “Dummkopf” zu denken, wenn schon nicht zu sagen. Aber nicht zu hitzig, verrenn´ dich nicht, bleib entspannt, denn vielleicht liegst du auch falsch. Vielleicht ist alles ganz anders.
Heute vor 40 Jahren kam ich zur Bundeswehr. Ein traumhafter Herbst dort in Lorch am Rhein. Alles neu an Erfahrungen. “So offen kannst du nur in jungen Jahren sein” denke ich heute. Heute hab ich zu allem schon eine gewisse Haltung und teilweise eine Meinung. Das macht das Leben aber irgendwie auch langweilig. Ich versuche wieder, keine fertige Meinung von etwas zu haben und mich längere Zeit als bisher mit meiner Positionierung zurückzuhalten. Das macht es für mich spannender, weil ich in alle Richtungen offen bleiben muss. Und verwirrt vielleicht die anderen, die nicht wissen, in welche Schublade ich gehöre.
Mir hat es ungemein imponiert, als ein Arbeitskollege nach einer Diskussion über den Stuttgarter Bahnhof sagte: “Ich hab da keine abgeschlossene Meinung zu”. Vielleicht war auch das Wort “noch” im Satz. Jedenfalls wusste ich auch, dass er ein vollauf informierter Bürger war, kommunikativ, aufgeweckt, der auch täglich die Bahn benutzte von hinter Murrhard nach Feuerbach, also sehr wohl davon betroffen war.
Als ich eben anfing zu schreiben, hatte ich kein spezielles Anliegen, das rausmusste. Anlass war, dass ich eine Nachricht bekam, auf einen Post, einen Blogbeitrag, dass jemand eine Bemerkung drollig fand.
Ich beschloss, zu schreiben, warum ich lange keinen Beitrag mehr gemacht habe, weil ich nicht so recht an Blog glaube, weil auch ich selten was von anderen lese. Viel lieber schaue ich ihnen zu, wie sie vor der Kamera sitzen und von etwas erzählen. Ist authentischer und ich krieg viel mehr Informationen, nonverbale.
Ich wollte also schreiben, dass ich mir gar nicht sicher bin, ob dieser Kommentar von einem Menschen ist oder von einer Maschine, einer KI. Heute kannst du ja alles anzweifeln. Ja und da bin ich wieder bei dem oben gesagten: Ist es nicht auch irgendwie schön, dass wir uns keiner Sache im Außen mehr richtig sicher sein können, die uns gezeigt wird? Kann sein, kann nicht sein. Die Zeit der kleinen, aufgeräumten, überschaubaren Welt ist vorbei. Was bleibt? Worauf können wir uns überhaupt noch verlassen? Warum konnte es nicht einfach immer so weitergehen?
Für viele ist diese verrückte Zeit schwer zu ertragen. Mama und Papa sind ratlos, selber verunsichert und verängstigt. Wie da Ruhe finden? Alles Gute und Vertraute löst sich auf, die Berufe verschwinden, der Schuster hat zugemacht und der Handyladen, der einzog… aber auch nur kurz. Unsere Bank mit ihren Mitarbeitern in dunklen Anzügen…. vorbei. Geblieben, bis alles geschleift wird, sind noch paar Junge, Anfänger, Praktikanten, vorn am Stehpult, freundlich lächelnd, tun, so gut sie eben können; nun, auch wenn das nicht allzu weit führt. Deutsche kaum, nur die Frau hinter dem Sicherheitsglas an der Auszahlung. Ganz sicher bin ich mir aber auch hier nicht. Jetzt muss ich aber auch gleich sagen, dass ich nichts gegen Ausländer habe. Nicht, dass ihr denkt. Eine Rechtfertigung, die scheinbar nötig ist.
An den Türen zwei türkische Menschen. Haben die schon übernommen hier? Es ist zu lustig. Turmbau zu Babel denkt es mich. Es hat alles einen irgendwie salopperen, internationalen und weniger spießigen Schmiss in dieser Bank. Wird hier ein Experiment gemacht? Ich halte alles für möglich. Ein bisschen Basarstimmung. Ein indischer Junge mit Trainingsjacke aber mit dem Namen der Bank vorn drauf hilft freundlich weiter. Klar, zuhause am Computer könne ich das besser machen, meint er. Ach, ja danke, geht auch auf der Handy-App. Nochmal vielen Dank auch. Wie gut, dass ich Kinder habe, die Informatik studieren. Na, meine Idee war´s nicht, das geb ich zu, aber sie haben einen guten Riecher bewiesen. Allein wär ich aufgeschmissen.
Bei den großen Firmen werden die “freigestellten” Mitarbeiter noch ein Jahr in “Auffanggesellschaften” bespaßt. Da lernen dann 50-jährige wieder, wie man eine Bewerbung schreibt. Ich muss schreien vor Beklemmung. Genauso fühlt es sich an, ein Stück Löschpapier unter die Zunge zu legen.
Aaaaaaach, ich möchte die Gesichter der Leute sehen, die in 500 Jahren unsere Zeit studieren, wie sie staunend am Hinterkopf kratzen, ob der heiter-bitteren Kommödie. “Das müssen die doch gemerkt haben, dass es rum war, vorbei”, “Gut gekleidete Windbeutel haben ihnen den Strom und das Feuer verboten”?
“Nicht möglich”. “Doch, so war´s”.
Leute, wacht auf, es dämmert, die Party ist vorbei. Die alte Zeit ist rum und kommt auch nicht wieder. Aber schön war es damals schon. Auf alle Fälle eine gute Kindheit.
Und jetzt schmilzt das Geld auch wieder. Wir Alten wissen, was dann kommt. Schon zweimal erlebt. Nicht selber, aber wir kannten sie, die uns das bitter erzählten. Das ging ganz schnell. Zack, Schubkarre voll mit Milliarden Reichsmark und morgen alle zurück auf Start.
Was weiter geschmiert funktioniert, ist die Nazikeule. Nazis, da muss ich mich nicht lange mit Erklärungen aufhalten. Jeder von uns versteht. Geht gar nicht und damit Ende der Diskuission.
Gemeint ist eine Partei, die demokratisch gewählt wurde und deren Wähler. Jetzt scheint die Welt unterzugehen, weil Bürger anders gewählt haben, als sich die Linken gewünscht haben. Ja, was denn bitteschön? Dann können wir Wahlen ja auch abschaffen.
Nochmal zu unser Schuld als Deutsche. Auch dies wieder als Beispiel für die Zeitenwende. Erzähl heute einem 20 oder 30-jährigen von seiner besonderen Verantworung in der Welt aufgrund seiner Vergangenheit.
Er wird schwerlich wissen, was du meinst. Und nachdem du ihm das erklärt hast, wird er dich fragen, ob du nicht rechnen kannst und die Zeiten durcheinander bringst.
Ich kann nur immer wieder ermuntern, selber zu denken und mit den eigenen Augen zu staunen und dir ruhig Zeit lassen mit der Antwort, bevor nur eine Sprech-Stanze rauskommt aus der Sammlung der erlaubten “Narrative”.
Da fällt mir ein, dass ein Belgier mich mal in Montpellier fragte, wie ich mich fühlte als Deutscher. Ich verstand nicht gleich. Er meinte, so als Deutscher im Ausland… Da war ich ca. 25 Jahre alt, er ungefähr auch. Ich war weltpolitisch komplett unwissend.
Ich glaubte bis heute, er erwartete die übliche Antwort von wegen Erbsünde und so. Eben, erst beim Schreiben, erkenne ich die andere Möglichkeit: Er sah in mir einen Verbündeten. Er, dessen Vorväter im Kongo schlimme Dinge trieben. Ich meine wirklich schlimme Dinge.
Immer wenn ich hier in Stuttgart einen Schwarzen, Inder oder Indianer sehe, versuche ich mir vorzustellen, wie das in diesen Kolonien gewesen sein muss, wenn das Herrenvolk sich breit und breiter machte. Ob in Indien, Afrika, Australien. Nehmen wir Amerika auch gleich dazu. Was haben die wohl für Freudensprünge gemacht damals, die bisherigen Einheimischen, ob der kulturellen und religiösen Bereicherung.
Zum Ausgleich heute mal andersrum.
Was ich damit sagen will: Es ging schon immer drüber und drunter, nur wir sind es nicht mehr gewohnt.
Ach ja und noch ein Letztes: Auch wenn ich oben sagte, dass man nicht zu allem gleich eine Meinung formulieren braucht, in dieser Sache gilt das nicht: Wenn Grüne, die mal als pazifistische Partei begonenn haben, uns heute gar nicht schnell genug in einen Atomkrieg hineinwünschen, durch Waffenlieferung in die Ukraine beispielsweise, um den bösen Russen endlich mal zu zeigen wo oben und unten ist…
Hier hört meine Toleranz auf. Da denke ich denn schon mal sehr handgreiflich darüber nach, wie wir es schaffen können, aus der Tyrannei der schreienden Dummheit rauszukommen.